Westoverledingen

In Ihrhove, einem Ortsteil von Westoverledingen, lebte einst eine kleine jüdische Gemeinschaft. Nach dem Bau der Eisenbahnstrecke Groningen–Leer (1854) ließen sich jüdische Händler dort nieder und wurden Teil der Dorfgemeinschaft. Viele zog es vor dem Ersten Weltkrieg nach Leer, wo bessere wirtschaftliche Möglichkeiten und eine größere jüdische Gemeinde lockten.

Karte

Jüdisches Leben

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung fehlt oft der eigene bzw. lokale Bezug zu der grausamen Vergangenheit Deutschlands. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg lebten viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Ihrhove, einem Ortsteil der Gemeinde Westoverledingen. Durch den Regionalhistoriker Hermann Adams, der auch Autor von „Geboren in Ihrhove, Im Holocaust umgekommen“ ist, können wir derzeit die Lebenswege von 13 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die in Ihrhove geboren worden sind, nachverfolgen. Alle mussten sie die täglichen Hürden, wie Gewalt und Schikane ertragen, wobei auch Kinder nicht verschont blieben.

Infotafel zum Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und
Mitbürger in Westoverledingen. (2021)

Unter den 13 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern lebte beispielsweise auch Esther Cohen. Adams fand heraus, dass Esther nach der Pogromnacht 1938 in die Niederlande emigrierte, bevor sie in das holländische KZ Westerbork gekommen ist. Einige Tage später wurde Esther Cohen dann mit vielen anderen jüdischen Bürgern mittels Waggons in das Vernichtungslager Sobibór gebracht, in dem sie auch kurz nach ihrer Ankunft am 26. März 1943 auch in der Gaskammer des Lagers zu Tode kam. Dies blieb jedoch kein Einzelfall, da Millionen Menschen mit ihr das gleiche Schicksal teilten. Ihr Leben war getränkt mit Schikanen und Gewalt, dass sie aufgrund ihrer Religion ertragen mussten und aus dem sie nie wirklich entkommen konnten. 1

Um besonders an die in Ihrhove geborenen und im Holocaust ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu gedenken, beauftragte die Gemeinde Westoverledingen den Leeraner Bildhauer Gerd Christmann. „Die dreizehn lebensgroßen Betonstelen erinnern an die im Holocaust ermordeten Juden. Sie tragen ihre Namen. Die Stelen sind in einem rechteckigen Feld angeordnet, das an die Viehwaggons erinnert, in denen die Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden […] Die rechteckige Fläche ist eingefasst von einem runden Feld mit zerbrochenen Baumaterialien. Raue Wasserbetonsteine, abgestoßene Klinker, zerbrochene Dachziegel, Glassplitter und verbogenes Eisen sind Sinnbild für die Zeit des Nationalsozialismus, in der moralische Werte und freiheitliche Rechte zerstört wurden durch Gewalt, Unrecht und Grausamkeit. Die zerbrochenen Materialien sollen daran erinnern, was damals gesellschaftlich zerstört wurde“2 . Das in der Blinkstraße (Ecke Bahnhofstraße) in Ihrhove stehende Denkmal wurde am 9. November 2019 eingeweiht.

Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in
Westoverledingen (2021)

Wie viele Juden jedoch derzeit in Westoverledingen wohnen, kann aufgrund fehlender Informationen nicht ermittelt werden.

Zudem gibt es zu Synagogen, Friedhöfen oder Schulen keine derzeitigen Erkenntnisse in der Gemeinde Westoverledingen.

Erinnerungsarbeit

Den Auftakt der essenziellen Erinnerungsarbeit in der Gemeinde Westoverledingen stellte der Besuch des Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg im Schulzentrum Collhusen am 2. Dezember 2014 dar. Hier berichtete Albrecht Weinberg sehr detailliert von seinem Leben und den prägenden Ereignissen im Holocaust und seinen Erfahrungen, die er selbst im KZ Auschwitz machen musste. Hiermit wurde der Grundstein für weitere Erinnerungsarbeit gesetzt.

Auch die Buchvorstellung am 19. Oktober 2017 von „Geboren in Ihrhove, im Holocaust umgekommen“ von dem Autor und Regionalhistoriker Hermann Adams im Schulzentrum Collhusen war eine Veranstaltung, die einen besonderen Bezug in der Erinnerungsarbeit der Gemeinde Westoverledingen herstellte, da in diesem Buch die Lebenswege der 13 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in Ihrhove, einer Ortschaft in der Gemeinde Westoverledingen, geboren sind und im Zuge des Holocausts ermordet wurden.

Im Jahr 2019, wurde das Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westoverledingen eingeweiht. Was mit der Einweihung des Denkmals begann, wurde in den Jahren danach durch die Gedenkfeier zu Ehren der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger jeweils am 9. November weitergeführt. Besonders wichtig sind derartige Gedenkfeiern und Veranstaltungen, um die Erinnerung an das düsterste Kapitel Deutschlands aufrechtzuerhalten, damit sich solche Ereignisse nicht noch einmal wiederholen.

Gedenkfeier beim Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und
Mitbürger in Westoverledingen am 09.11.2023

In diesem Zusammenhang gab es außerdem die Ausstellungsreihe „Zukunft braucht Erinnerung“, die vom 27. Februar 2018 bis zum 2. März 2018 stattfand. In diesem Rahmen wurde eine Ausstellung unter dem Titel „Jüdische Künstler unter Druck – Grafiken aus dem 20ten Jahrhundert“ veranstaltet, die die jüdischen Künstler ehrt, die die Nationalsozialisten damals verboten haben.

Die Thematik des Holocausts greift auch das Buch „Fotos aus Sobibor: Die Niemann- Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus“ auf, das vom Bildungswerk Stanislaw Hantz und von der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart herausgegeben wurde. Johann Niemann stammte aus Völlen in Westoverledingen und war stellvertretender SS-Kommandant des Vernichtungslagers Sobibor. Durch die in seinem Nachlass gefundene Fotosammlung ist es möglich geworden, die Verbrechen der Nationalsozialisten in Polen in die gesellschaftliche Erinnerung zu bringen. Das Buch hat somit eine außerordentliche geschichtliche Relevanz. Der Co- Autor Dr. Martin Cüppers stellte das Buch am 17. Mai 2023 in Westoverledingen vor.

Die Ausstellung „Sterne ohne Himmel – Kinder im Holocaust“ vom 3. November 2023 bis zum 5. November 2023 thematisiert dabei ein ähnliches Thema. Das Gemeindezentrum der Ev.-Freikirchl. Gemeinde WOL – Ihren präsentierte hier das ergreifende Schicksal all der Kinder, die zur Zeit des Holocausts lebten. Zukünftige Veranstaltungen können Sie jederzeit auf unserer Homepage einsehen: https://www.westoverledingen.de/.

Weblinks

Literatur

  • Hermann Adams (2017): Geboren in Ihrhove – Westoverledingen, IM HOLOCAUST UMGEKOMMEN
  • Bindungswerk Stanislaw Hantz, Forschungsstelle Ludwigsburg (2020): Fotos aus Sobibor: Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus.

Text/Bilder: Kirsten Beening

Anmerkungen


1 Vgl. Buch von Hermann Adams


2 Vgl. Gemeinde Westoverledingen Homepage