Die jüdische Gemeinde in Weener wuchs im 19. Jahrhundert dank wirtschaftlicher Veränderungen und dem Anschluss an das Eisenbahnnetz. Bedeutende Persönlichkeiten wie Ludwig Hardt und Louis Victor Israels prägten das kulturelle Leben. Doch mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus begann eine Zeit der Verfolgung und Zerstörung, die in der Vernichtung der jüdischen Gemeinde endete. Heute erinnern ein Mahnmal und regelmäßige Gedenkveranstaltungen an die einst blühende Gemeinschaft und ihren tragischen Verlust.
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Jüdisches Leben
Das jüdische Leben in Weener entwickelte sich anfangs nur sehr langsam. Ein 1645 ausgestellter Generalgeleitbrief des Grafen Ulrich II. erwähnte erstmals einen jüdischen Familienvorstand. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts blieb der jüdische Bevölkerungsanteil sehr gering und lag um 1805 bei lediglich elf Personen.
Mit der Umstellung der Viehwirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Standort Weener dann auch für jüdische Viehhändler attraktiver und die jüdische Gemeinde wuchs sprunghaft an. Die Anbindung an das Eisenbahnnetz 1876 ermöglichte es jüdischen Geschäftsleuten, ihre Handelsbeziehungen über Ostfriesland hinaus auszuweiten. Bis 1885 wuchs die jüdische Bevölkerung auf 231 Personen an (6,2 % der Gesamtbevölkerung).
Der in Neustadtgödens geborene aber in Weener aufgewachsene Ludwig Hardt (1886-1947), avancierte während der 1920er Jahre zu einem der berühmtesten deutschen Sprechkünstler (Rezitatoren). Nach der Schulzeit siedelte er mit seinem Vater und dem Bruder nach Berlin über. Dort lernte er zunächst die Schauspielerei und wechselte dann das Genre. Zu seinen Freunden und Bekannten zählten Größen wie die Mann Brüder oder aber Berthold Brecht.
Der Cousin seiner Mutter war der um die Jahrhundertwende überregional bekannte Heimatdichter Louis Victor Israels aus Weener. Er veröffentlichte ab 1889 kleinere, unverfängliche Gedichte in Rheiderländer Platt. Seine streng konservativ-nationalistische Haltung äußerte sich in zahlreichen Gedichten zu Ehren des Reichskanzlers Bismarck. Ein Höhepunkt seines Wirkens dürfte der öffentliche Auftritt auf dem Niedersachsentag in Hildesheim im Oktober 1904 gewesen sein. Israels war seit 1890 Bürgervorsteher und erlebte den Aufstieg Weeners zu einem antijüdischen Zentrum zu Beginn des 20.Jahrhunderts.
Der in Weener lebende Arzt Dr. Feenders tat sich als treibenden Kraft judenfeindlicher Propaganda hervor. Die antijüdische Hetze sorgte dafür, dass die Nationalsozialisten in Weener schon sehr früh Einfluss erlangten. Bei den letzten freien Wahlen 1933 erhielten sie schon über 50 % der Wählerstimmen. Trotz der Bedrohungen existierten noch 23 jüdischen Geschäfte in den ersten Jahren nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten weiter. Von den 131 registrierten jüdischen Personen, die im Juni 1933 in Weener lebten, verloren 48 ihr Leben in den Vernichtungslagern. Bei weiteren 44 Personen ist der Verbleib während bzw. nach dem Nazi-Terror nicht bekannt.
Synagoge
Nachdem die jüdische Gemeinde seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts sprunghaft angewachsen war, konnten auch Gottesdienste in einem angemieteten Raum abgehalten werden. Dazu diente zunächst ein Haus in der Westerstraße. Später gelang es der Gemeinde in der Nachbarschaft ein Grundstück anzukaufen. Die 1828 erbaute Synagoge konnte dann ein Jahr später eingeweiht werden. Wie auch in anderen jüdischen Gemeinden Ostfrieslands, durften deren Gotteshäuser nicht in der ersten Reihe erbaut werden. So stand zunächst noch ein Haus vor der Synagoge, das als Lehrerwohnung für den jüdischen Lehrer genutzt wurde. Die Synagogengemeinde war Mitglied des orthodoxen „Preußischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogen-Gemeinden“. Zu ihren 100jährigen Jubiläum wurde die Synagoge 1928 grundlegend renoviert. Zehn Jahre später zündete die lokale SA-Standarte Weener die Synagoge an und brannte sie bis auf die Grundmauern nieder. Die ortsansässige Feuerwehr verhinderte das Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser. Seit 1990 erinnert eine siebenarmige Menora an den Platz, wo einst die Synagoge gestanden hat.
Jüdische Friedhöfe
Die in Jemgum, Bunde, Weener und Stapelmoor lebenden jüdischen Familien mussten ihre Toten zunächst in Emden begraben lassen. 1670 erhielten sie erstmals die Erlaubnis, einen eigenen Friedhof im Smarlingen, nahe Weener anzulegen. Nachdem dieser zu klein geworden war wurde in unmittelbarer Nähe ein zweiter Friedhof angelegt, der bis 1849 belegt wurde. Als auch dieser Friedhof voll belegt war, richteten die Rheiderländer jüdischen Gemeinden ihre eigenen Friedhöfe ein. Der 1850 eingerichtete Friedhof an der heutigen Graf-Ulrich-Straße in Weener war ein Geschenk der Brüder Isaak und Joseph Israels an die jüdische Gemeinde. Der jüngste Friedhof entstand 1896 an der Graf-Edzard-Straße. Er wurde bis in die 1930er Jahre genutzt. Dort wurden in der NS-Zeit Grabsteine mehrere Grabsteine geschändet und teilweise abgeräumt und an einem Steinmetz verkauft. Seit dem Ende des II. Weltkrieges wurden die Friedhöfe wieder instand gesetzt und zum Teil von örtlichen Vereinen gepflegt.
Mikwe (jüdisches Ritualbad)
Die Angaben zu einer Mikwe in Weener sind wage. Vermutlich wurde das Ritualbad 1888 beim Bau in einem der Wohnräume der neuen Lehrerwohnung eingerichtet, nachdem die alte Lehrerwohnung von 1837 abgerissen worden war. Im 1929 erschienenen Jahresbericht des Landesrabbinat Emden heißt es, dass die Schule seinerzeit in gutem Zustand war, das Ritualbad dringend einer Renovierung bedürfe.
Jüdische Schule
Die erste Erwähnung einer Schule stammt aus dem Jahre 1837, als ein Gebäude mit einer Lehrerwohnung und einem Schulzimmer vor der Synagoge errichtet wurde. 1853 war das Schulzimmer zu klein geworden und so ließ die Gemeinde zwischen Lehrerwohnung und Synagoge ein eigens Schulgebäude errichten mit einer „Israelitischen Elementarschule“.
Nachdem das Gebäude mit der Lehrerwohnung den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr standhielt, wurde dieses 1887 abgerissen und ein Jahr später neu errichtet. Wie alle jüdischen Landgemeinden, litt Weener seit dem Ende des 19. Jahrhunderts an einer Überalterung, da viele junge jüdische Gemeindemitglieder ihre Zukunft in größeren Städten sahen.
Als letzter der sieben bekannten Lehrer, versah Arnold Seliger diese Stelle in Personalunion des Kantors und Predigers der Gemeinde. Er war 1922 aus Neustadtgödens gekommen, nachdem dort die jüdische Schule geschlossen wurde. 1925 konnte diese Schule wegen Schülermangels nicht länger gehalten werden und wurde geschlossen.
Vereine und Vereinigungen:
Mit der Möglichkeit, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren, organisierte sich die jüdische Bevölkerung parteipolitisch und in Vereinen. Als Bürgervorsteher wurden der bereits erwähnte Louis Victor Israels und Jakob Arons gewählt. Neben der Mitgliedschaft in den bereits bestehenden Ortsvereinen (Kriegerverein, Feuerwehr, Sportverein) gab es auch speziell jüdische Vereinsgründungen. Der 1847/48 gegründete Frauenverein hatte sich die Unterstützung hilfsbedürftiger Frauen und Mädchen zur Aufgabe gemacht. Die 1876 gegründete Kranken- und Beerdigungsbrüderschaft (Chewra Kadischa) war auch für die Krankenpflege zuständig. 1901 kam noch der „Frauenverein zur Verschönerung der Synagoge“ hinzu, sowie der 1924 gegründete Jüdische Jugendbund. Daneben gab es seit Beginn der 1920er Jahre eine Ortsgruppe des „Central-Vereins“ im Ort.
Erinnerungsarbeit
Im Jahre 1987 gründeten interessierte Bürgerinnen und Bürger in Vorbereitung der Gedenkveranstaltung zum 50.Jahrestag des Synagogenbrandes in Weener einen Arbeitskreis mit dem gleichen Namen (Arbeitskreis 50. Jahrestag Synagogenbrand). Rund um den Gedenktag erstellte der Arbeitskreis ein einwöchiges Programm und lud die ehemaligen jüdischen Bürger der Gemeinde nach Weener. 32 von ihnen folgten der Einladung und nahmen dafür zum Teil weite Anreisen aus der ganzen Welt auf sich.
1990 sorgte der Arbeitskreis dafür, dass der Grundriss der Synagoge wieder sichtbar ist. Seither markieren große Steine, sogenannte Flinten, die Eckpunkte der Synagoge. Zudem wurden eine Info-Tafel an der Hauswand der ehemaligen Schule angebracht und ein großer Menoraleuchter vor dem Gebäude aufgestellt.
Der Arbeitskreis organisiert an jedem 9. November eine würdige Gedenkveranstaltung auf dem ehemaligen Synagogenplatz mit Ansprachen. Im Zuge der Veranstaltung lesen meist Schüler und Konfirmanden die Namen der ermordeten Juden vor.
Seit 2015 organisiert der Arbeitskreis Stolpersteinverlegungen. Inzwischen konnten so 126 dieser Steine verlegt werden.
Weblinks
Text/Bilder: Redaktion Frisia Judaica und Arbeitskreis 50. Jahrestag Synagogenbrand