Norden

Die jüdische Gemeinde in Norden hat eine lange und bewegte Geschichte, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Trotz vieler Herausforderungen wuchs die Gemeinschaft vor allem im 17. Jahrhundert stetig. Ab 1744 verschärften sich die Repressionen unter preußischer Herrschaft. Trotzdem konnten die jüdischen Familien ihre Traditionen bewahren und sogar einen Lehrer anstellen. Rund um den heutigen Synagogenweg entstand ein Gemeindezentrum, das in großen Teilen bis heute erhalten ist. Die NS-Zeit brachte unermessliches Leid: Die Synagoge wurde zerstört, viele Juden wurden deportiert und ermordet.

Heute erinnern verschiedene Gedenkstätten, darunter der jüdische Friedhof und Stolpersteine, an das einst blühende jüdische Leben in Norden und das tragische Schicksal der jüdischen Gemeinschaft.

Karte

Jüdisches Leben

Eine zeitgenössische Quelle erwähnt 1581 erstmals einen im Ort ansässigen Juden. 1591 stellte das Grafenhaus für den in der Stadt lebenden Jud Meyer und seine Familie in Norden den älteste erhaltene Schutzbrief in Ostfriesland aus dem Jahr 1591 aus. Es ist aber davon auszugehen, dass die Geschichte der Juden in Norden weit länger zurückreicht, denn der Friedhof ist weitaus älter.

Der jüdische Friedhof von Norden

Anfangs lebten die Norder Juden vor allem vom Geldverleih, dem Handel mit gebrauchten Waren, insbesondere Kleidern, sowie vom Viehhandel und Schlachten. Tätigkeiten in anderen, häufig von den Gilden beherrschten, Berufszweigen waren ihnen untersagt.

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten wuchs die Zahl der in der Stadt lebenden Juden von allem im 17. Jahrhundert. Im Jahr 1618 gab es sechs jüdische Haushalte in der Stadt, 1645 waren es bereits 12 und bis 1680 stieg die Zahl auf 18 Haushalte an, was etwa 100 Personen entsprach. Von den 1645 existierenden Haushalten lebten zwei in eigenen Häusern, während die anderen zehn zur Miete wohnten. Von den jüdischen Einwohnern waren zu dieser Zeit vier als Schlachter, einer als Kleinhändler und einer als Tabakhändler tätig.

Mit dem Übergang Ostfrieslands an Preußen begann ab 1744 eine Phase verstärkter Repression. Dadurch kam das Wachstum der Gemeinde zum Erlieben. 1749 zählten die neuen Machthaber 44 jüdische Familien in der Stadt.

Mit der Übernahme der Herrschaft in Ostfriesland durch die preußische Regierung 1744 wurde jedoch festgelegt, die Anzahl jüdischer Haushalte auf 16 zu reduzieren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der jüdischen Familien blieben einfach bis armselig. Neben gebrauchten Waren wie Kleidung handelten sie nun auch mit Korn, Wachs, Honig, Tee, Alteisen, Zinn, Kupfer, Tabak, Federn und Porzellan. Trotzdem gelang es der Gemeinde, spätestens ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen hauptamtlichen Lehrer zu beschäftigen.

Im 19. und 20. Jahrhundert wuchs die Zahl der in Norden lebenden Juden wieder an. So waren 1804 unter den 3532 Einwohnern 193 jüdischen Glaubens. Im Jahr 1861 erreichte ihre Zahl mit 329 Personen den Höchststand. Zu dieser Zeit stellten sie etwa 5,3 Prozent der insgesamt 6199 Personen umfassenden Stadtbevölkerung. Bis 1905 ging die Zahl der in Norden lebenden Juden dann auf 286 zurück. Einwohner (von insgesamt 3.532 Einwohnern), 1829 219 (von 5.727), 1861 Höchstzahl 329 (5,3 % von insgesamt 6.199 Einwohnern), 1871 309 (von 6.070), 1895 252 (von 6.794), 1905 286 (von 6.717). Zur jüdischen Gemeinde gehörten auch die in Marienhafe, Upgant-Schott und seit 1863 die in Hage (vorher zu Dornum gehörig) lebenden jüdischen Personen. Auf der Insel Norderney entstand eine Filialgemeinde.

Die Namen des Gemeindevorstandes in den 1930er Jahren, eingeritzt in die Wand des jüdischen Gemeindehauses

Rund um die Judenlohne (heute: Synagogenweg) entstand das Zentrum der jüdischen Gemeinde. Neben der Synagoge unterhielt die Gemeinde dort eine Schule, ein Mikwe (rituelles Tauchbad), Häuser für den Lehrer, den Kantor und den Synagogendiener sowie das Sekretariat.

Bis in die Weimarer Republik hinein waren die Juden vor allem in den ihnen lange einzig erlaubten Branchen tätig. In den 1920er Jahren gaben von den Norder Juden in einer Erhebung mehr als 30 Viehhändler sowie 14 Schlachter als Beruf an. Darüber hinaus gab es zwei Kommissionäre und zwei Buchhalter, einen Bürstenmacher, drei Lederfabrikanten, 19 Kaufleute und sieben Händler, darunter zwei Altwarenhändler, ein Getreidehändler, ein Produktenhändler, ein Eisenhändler und ein Pferdehändler. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich ein jüdischer Zahnarzt in Norden niedergelassen.  

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärften sich ab 1933 die Repressionen, die mit der Reichspogromnacht im November 1938 und der faktischen Zerschlagung der Gemeinde ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten. Die Synagoge wurde zerstört, jüdische Geschäfte geplündert, und viele Gemeindemitglieder wurden misshandelt. In den darauffolgenden Jahren wurden die meisten Juden aus Norden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. 1940 wurde die jüdische Gemeinde dann auch formal aufgelöst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten nur wenige jüdische Überlebende nach Norden zurück. Eine Neugründung der Gemeinde fand nicht statt. Heute erinnern verschiedene Gedenkstätten an das einst blühende jüdische Leben in Norden. Der erhaltene jüdische Friedhof sowie mehrere Gedenktafeln und Stolpersteine in der Stadt sind stille Zeugen des einstigen jüdischen Lebens und des Leids, das die jüdische Gemeinschaft erfahren musste.

Die Synagoge von Norden

Gedenkstätte am Standort der ehemaligen Synagoge

Die jüdische Gemeinde in Norden erwarb 1679 ein Haus an der nördlichen Judenlohne (heute Synagogenweg/Ecke Neuer Weg), das als Synagoge, Schule und Wohnhaus genutzt wurde. Rund um dieses Haus entstand ab 1804 das jüdische Gemeindezentrum. Noch im selben Jahr begann der Bau einer neuen Synagoge, für die der preußische König 100 Reichstaler bewilligte; den Rest der Bausumme finanzierten Gemeindemitglieder und nichtjüdische Spender. Während der Novemberpogrome 1938 wurde die Synagoge von SA-Mitgliedern in Brand gesteckt und brannte bis auf die Grundmauern nieder. 1987 wurde auf dem Grundstück der zerstörten Synagoge eine Gedenkstätte eingerichtet, die an die jüdische Gemeinde und die Zerstörung des Gebäudes während der Pogrome erinnert.

Jüdischer Friedhof

Gedenkstätte auf dem jüdischen Friedhof

Der im 16. Jahrhundert angelegte jüdische Friedhof von Norden ist der älteste in Ostfriesland. Er befindet sich außerhalb des historischen Stadtzentrums von Norden unmittelbar neben dem städtischen christlichen Friedhof am Zingel. Auf dem 5783 Quadratmeter großen Areal sind 318 Grabsteine erhalten geblieben, von denen der älteste aus dem Jahre 1659 und der jüngste aus dem Jahr 1938 stammt. Seit 1990 erinnert ein Sammel-Grabstein an neun Personen, die zwischen 1938 und 1940 beigesetzt wurden. Das Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Männer, Frauen und Kinder der ehemaligen Synagogengemeinde Norden wurde am 21. Juni 2005 auf dem jüdischen Friedhof aufgestellt

Erinnerungsarbeit

Die ehemalige jüdische Schule von Norden. In dem Gebäude hat der Ökumenische Arbeitskreis Synagogenweg Norden seinen Sitz.

Der Ökumenische Arbeitskreis Synagogenweg Norden e. V. wurde 1985 von Lina und Hans-Gerhard Gödeken gegründet. Seine ca. 65 Mitglieder vertreten verschiedene Norder Kirchengemeinden und Schulen oder sind einfach nur aus privatem Interesse dabei.  Lina Gödeken hatte begonnen, die 400jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde in Norden systematisch zu erforschen und veröffentlichte im Jahr 2000 das Ergebnis in dem Buch „Rund um die Synagoge in Norden“.

Ein erstes Ziel des Arbeitskreises war die Errichtung einer Gedenkstätte am Platz der Synagoge, die am 9. November 1938, in der sog . Reichskristallnacht, in Brand gesteckt und vernichtet wurde. Sie befand sich inmitten des ehemaligen jüdischen Gemeindezentrums, deren Häuser bis heute im Synagogenweg erhalten sind. In einer ersten „Woche der Begegnung“ wurde die Gedenkstätte im Beisein von überlebenden Norder Juden und deren Angehöriger im Sommer 1987 eingeweiht. Seither richtet die Arbeitsgruppe jedes Jahr am 9. November eine Gedenkfeier aus, zu der alle Norder Bürgerinnen und Bürger eingeladen werden.

Der Ökumenische Arbeitskreis Synagogenweg sieht seine Hauptaufgabe darin, die Erinnerung an die 400jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde und an die jüdischen Familien wach zu halten. Dazu gehört auch eine intensive Kontaktpflege zu den Nachfahren der Norder Juden.

Im Jahr 1990 wurde auf dem jüdischen Friedhof ein Sammelgrabstein errichtet, auf dem die Namen der neun jüdischen Bürger stehen, die zwischen 1938 und 1940 dort noch namenlos bestattet worden waren. Aus diesem Anlass fand die zweite „Woche der Begegnung“ statt. Am selben Ort konnte im Jahr 2005 ein großes Mahnmal eingeweiht werden, auf dem 196 Namen ermordeter Juden aus dem Bereich der Norder Synagogengemeinde verzeichnet sind. Dieses eindrucksvolle Kunstwerk wurde von dem Architekt Reinhard Schneider und dem Künstler Ricardo Fuhrmann entworfen und ist zu einem besonderen Ort des Gedenkens geworden, das die Worte „erinnern – gedenken – hoffen“ als Motto des Arbeitskreises symbolisiert. Aus Anlass der Einweihung fand die dritte  Begegnungswoche statt, an der zahlreiche überlebende Norder Juden und deren Nachfahren teilnahmen.

Seit 2009 hat der Kölner Künstler Gunther Demnig im Auftrag des Arbeitskreises vor den Häusern, in denen Juden zuletzt gewohnt hatten, ca. 100 „Stolpersteine“ verlegt, um Namen und Schicksal der Holocaustopfer nicht zu vergessen.

Im Jahr 2016 konnte der Arbeitskreis, seit 2015 ein eingetragener Verein, Räume der ehemaligen jüdischen Schule im Synagogenweg 4 beziehen, wo er sich zu Arbeitssitzungen trifft und von Zeit zu Zeit zu kleinen Ausstellungen oder Vorträgen einlädt. Hier entsteht auch ein Lernort mit einem Archiv zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Nordens in Verbindung mit einer Leihbücherei. Zur Zeit ist dort auch eine Ausstellung zur Geschichte des jüdischen Gemeindezentrums im Synagogenweg zu sehen. Größere Ausstellungen gibt es immer wieder in der Volkshochschule oder an anderer Stelle.

 Im Sommer 2018 fand eine weitere „Woche der Begegnung“ statt, an der zum ersten Mal keine Überlebenden mehr teilnehmen konnten. Stattdessen waren über 30 Nachkommen aus Israel, Europa und den USA hierhergekommen, um sich auf Spurensuche ihrer Vorfahren zu begeben. Immer wieder nehmen nahe, aber auch ferne Angehörige von Juden aus Norden Kontakt mit uns auf, um die Heimatstadt und Geschichte ihrer verstorbenen Verwandten kennenzulernen.

Der Arbeitskreis gehört zum Netzwerk „Reise ins jüdische Ostfriesland“, das von der Ostfriesischen Landschaft koordiniert wird.

Weblinks

Text/Bilder: Redaktion Frisia Judaica und Ökumenischer Arbeitskreis Synagogenweg Norden e.V.