Jever

Seit dem späten 17. Jahrhundert waren Einwohner jüdischen Glaubens waren in Jever präsent. Ihnen wurde erst 1776 die Bildung einer Gemeinde gestattet. Die jüdische Gemeinde wuchs und errichtete 1802 eine Synagoge in der Altstadt, die später durch einen prachtvolle Neubau ersetzt wurde. Während des Nationalsozialismus wurde die Gemeinde durch antisemitische Verfolgung und die Zerstörung der Synagoge zerstört. Viele Mitglieder wurden ermordet.

Karte

Jüdisches Leben

Anfänge

Einwohner jüdischen Glaubens lebten in Jever, seit 1698 der Kaufmann Meyer Levi von den Fürsten von Anhalt-Zerbst einen Schutzbrief erwarb. Lange hielt das mitteldeutsche, evangelisch-lutherische Fürstentum, zu dem damals die Herrschaft Jever gehörte, im Zusammenspiel mit den örtlichen Landständen die Zahl der jüdischen Untertanen mit großer Strenge klein. Erst 1776 gestattete es die Bildung einer Gemeinde. Diese richtete 1779 für ihre ungefähr 25 Mitglieder in der Vorstadt eine Betstube ein und legte einen Friedhof an, der heute noch existiert. 1802 erbaute sie für ihre nun ungefähr 40 Mitglieder eine Synagoge im Gebiet der Altstadt.

1782 rotteten sich christliche Einwohner der benachbarten Ortschaften Neustadtgödens (Herrlichkeit Gödens) und Kniphausersiel (Herrlichkeit Kniphausen) gegen die jüdischen zusammen. Die antisemitischen Ausschreitungen griffen auch auf Jever über. Sie wurden von der Obrigkeit durch den Einsatz von Militär beendet.

1849 erhielten die Juden Jevers, das seit 1815 zum Großherzogtum Oldenburg gehörte, die staatsbürgerliche Gleichstellung.

Blütezeit

Jever – inmitten fruchtbarer Marsch auf der Geest gelegen – profitierte von alters her von der Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte. Nach Gründung von Wilhelmshaven (1869) und dem Anschluss an das Bahnnetz (1871) entwickelte es sich zu einem Agrarzentrum. Die Zahl der Einwohner stieg von 3.800 um das Jahr 1850 auf 6.000 um 1900, darunter waren zur Jahrhundertwende 220 jüdische. Diese waren überwiegend als Vieh- und Pferdehändler sowie Schlachter tätig und arbeiteten auch als Schneider, Uhrmacher, Kaufmann, Landwirt und abhängig beschäftigt. Sie waren im politischen und kulturellen Leben engagiert und – wie es schien – auch akzeptiert. Angesehene Persönlichkeiten der Stadt waren jüdisch.

Ausdruck der Blütezeit war der Neubau einer geräumigen, prachtvollen Synagoge, welche 1880 die 1802 an derselben Stelle errichtete ersetzte.

Nationalsozialismus

Im Jeverland wurden die Nationalsozialisten schon weit vor 1933 die bestimmende politische Kraft. Sie erhielten massive Unterstützung von wichtigen Teilen der örtlichen Eliten wie Lehrern, evangelischen Pastoren und leitenden Verwaltungsbeamten sowie von der örtlichen Tageszeitung.

Bei der Machtübernahme 1933 war die Anzahl der jüdischen Einwohner wegen des wirtschaftlichen Strukturwandels und der Krisen der Weimarer Republik bereits auf etwa 110 zurückgegangen.

Der mit Beginn des NS-Regimes unmittelbar einsetzende antisemitische Verfolgungsdruck vertrieb in den folgenden Jahren viele Familien und Einzelpersonen in größere Städte und ins Ausland. Während des Novemberpogroms vom 9. November1938 zerstörten örtliche NS-Aktivisten im Schutz von Feuerwehr und Polizei die Synagoge durch Brandstiftung. Danach trieben SA-Kommandos alle zu diesem Zeitpunkt in Jever noch lebenden 40 Jüdinnen und Juden unter Demütigungen ins Gerichtsgefängnis und „beschlagnahmten“ Wertsachen und Einrichtungsgegenstände. Abends plünderten Hitler-Jungen und Zivilisten im Beisein der inzwischen nach Hause entlassenen Frauen. Am 11. November 1938 brachte die Polizei vierzehn Männer nach Oldenburg, von wo aus sie in das KZ Sachsenhausen bei Berlin – Sammelpunkt der Juden aus Norddeutschland – verschleppt wurden. Alle Vierzehn wurden nach Qualen, über die sie schweigen mussten, bis Anfang 1939, mit der Auflage auszuwandern, entlassen.

Anfang 1940 verfügten die Behörden von Weser-Ems die Zwangsumsiedlung der letzten verbliebenen jüdischen Einwohner in deutsche Großstädte. Das betraf in Jever 33 Personen, die überwiegend in Hamburg eine Bleibe finden konnten. 1941 begann der NS-Terrorapparat mit den Deportationen in die Ghettos und Vernichtungslager. Namentlich bekannt sind 67 Opfer des Holocaust aus Jever.

Nachkriegszeit

Nach 1945 lebten in Jever nur noch vier jüdische Menschen, ein Gemeindeleben war nicht mehr möglich. Erich Levy (1891-1967) setzte mit Hilfe der britischen Militärregierung die Wiederherstellung des verwüsteten jüdischen Friedhofs durch. Fritz Levy (1901-1982) forderte unermüdlich die Aufarbeitung der NS-Zeit und wurde 1981 in den Stadtrat gewählt.

1978 begann mit der Gedenktafel für die 1938 zerstörte Synagoge die öffentliche Erinnerung an das lange von den nichtjüdischen Einwohnern aktiv verdrängte jüdische Jever. Ab 1984 besuchten – auf Einladung des Mariengymnasiums Jever – überlebende jüdische Einwohner aus Jever ihren ehemaligen Wohnort. 1996 wurde unter Anwesenheit von Holocaust-Überlebenden das Mahnmal für die ermordeten Juden aus Jever in der Frl. Marienstraße eingeweiht.

Der Arbeitskreis GröschlerHaus (bis 2014 „Arbeitskreis Juden und Jever“) steht mit zahlreichen Nachkommen von jeverschen Juden im Kontakt. Er führte im April 2023 eine „Woche der Begegnung“ durch, an der 55 Besucher aus Australien, Israel, Kanada, den USA, England, den Niederlanden und Deutschland teilnahmen. Die Geschichte der Juden Jevers ist detailliert in der Internetzeitschrift www.groeschlerhaus.eu dargestellt.

Erinnerungsarbeit

Das GröschlerHaus ist das Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven. Es befindet sich auf dem Grundstück der1938 im Novemberpogrom zerstörten Synagoge von Jever, Gr. Wasserpfortstr. 19. Das Haus heißt nach Hermann Gröschler (1880 Jever – 1944 KZ Bergen-Belsen) und Julius Gröschler (1884 Jever – 1944 Auschwitz), den beiden letzten Vorstehern der jüdischen Gemeinde von Jever.

Eine Dauerausstellung zeigt auf 160 m² die „Geschichte der Juden Jevers und ihrer Synagoge“ in den Stationen Emanzipation, Verfolgung und Nachkriegszeit. Teil der Ausstellung sind die Bauten der Mikwe und der jüdische Schule, die den Abriss des synagogalen Komplexes nach dem Pogrom überstanden haben.

Eine virtuelle, wissenschaftlich fundierte Rekonstruktion der Synagoge zeigt das Gotteshaus in 3D mittels VR-Brille sowie in 2D auf einem Monitor. Diese bisher einzige Echtzeit-Visualisierung einer Synagoge in Norddeutschland informiert an speziellen Punkten des virtuellen Rundgangs über Grundlagen des Judentums wie z.B. Toraschrein oder Bima.

Das GröschlerHaus ist donnerstags 15 – 18 Uhr, freitags und samstags 11 – 14 Uhr sowie nach Anmeldung unter info@groeschlerhaus.eu geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Als außerschulischer Lernort des Landkreises Friesland entwickelt das GröschlerHaus mit den Schulen Unterrichtsmodule für die Fächer Geschichte, Politik, Religion und Werte/Normen. Die Internetzeitschrift www.groeschlerhaus.eu bietet Materialien und wissenschaftliche Artikel an.

Als Zentrum zur Zeitgeschichte der Region präsentiert das GröschlerHaus außerdem Veranstaltungen, die sich beispielsweise mit der Situation von Geflüchteten, mit den Sinti und Roma oder mit den Folgen des Kolonialismus beschäftigen.

Das 2014 gegründete GröschlerHaus fußt auf einem 1979 am Mariengymnasium Jever begründeten Projekt zur Aufarbeitung der NS-Geschichte („Juden und Jever“) , das 1984 die überlebenden Juden der Stadt zu einer Woche der Begegnung eingeladen hatte. Der ehrenamtliche Arbeitskreis GröschlerHaus von rund einem Dutzend Personen ist im Jeverländischen Altertums- und Heimatverein organisiert und entwickelt die Einrichtung mit Unterstützung des Zweckverbands Schlossmuseum Jever weiter. Das GröschlerHaus ist Teil der Initiative “Erinnerungsorte in Friesland” des Zweckverbands. Die Mietkosten für das Gebäude im Besitz der Hanna und Elfriede Heeren-Stiftung teilen sich die Stadt Jever und der Landkreis Friesland. Die Projektarbeit ist auf Spenden angewiesen.

Weblinks

  • GröschlerHaus Jever, Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven Die Website www.groeschlerhaus.eu mit Veranstaltungsankündigen ist gleichzeitig ein Internetmagazin für die Geschichte der Juden im Landkreis Friesland und für die allgemeine Zeitgeschichte der Region. Unter thematischen und ortsbezogene Rubriken werden Artikel, Fotos, Dokumente, Video- und Audioaufnahmen, Unterrichtmaterialien, ein Pressespiegel u.a.m. zur Verfügung gestellt. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der jüdischen Geschichte der Städte Jever und Varel sowie auf der NS-Geschichte der Region.
  • Die Initiative „Erinnerungsorte in Friesland“ www.erinnerungsorte-friesland.de des Zweckverbands Schlossmuseum bietet eine Karte der Region an, die rund 40 Erinnerungsorte an die NS-Zeit im Landkreis Friesland verzeichnet und zu weiterführenden Informationen auf www.groeschlerhaus.eu führt.

Text/Bilder: Hartmut Peters, GröschlerHaus Jever – Zentrum für jüdische Geschichte und Zeitgeschichte Frieslands