Im 17. Jahrhundert ließen sich die ersten Juden in Bourtange nieder. Sie waren vor allem im Viehhandel, Handel mit ‚ungeregelten‘ Gütern und Fleisch tätig. Die tragische Auflösung der Gemeinde im November 1942 durch Deportation aller 46 jüdischen Einwohner markiert das Ende einer lebendigen jüdischen Geschichte in Bourtange.
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Jüdisches Leben
Im 17. Jahrhundert gab es für Juden noch keine Vorschriften, um sich niederzulassen zu können. Man war abhängig von der örtlichen Verwaltung. 1697 benötigte man das Einverständnis der Stadt-/ Ortsverwaltung zum Zuzug. 1710 wurden alle Juden nach Diebstählen und anderen Verbrechen des Ortes verwiesen. Man war aber nicht wirklich konsequent, Menschen mit einer Bewilligung/Gewährung durften bleiben.
1740 bezeugen alte Unterlagen eine Beschneidung in Bourtange.
Die wichtigsten Geschäftsbereiche waren damals der Viehhandel, Handel mit ‚ungeregelten‘ Gütern und Fleisch.
1813 bildete Bourtange mit den Dörfern Vlagtwedde, Sellingen und Roswinkel eine jüdische Gemeinde mit 40 jüdischen Einwohnern, davon stammten 21 aus Bourtange.
1842 gab es große Probleme mit dem Schatzmeister und die Hauptverwaltung griff ein. Daraufhin kehrte einigermaßen Ruhe ein, es lebten 1850 dann dort 70 jüdische Bürger.
1870 wurde Bourtange zusammen mit den Dörfern Vlagtwedde, Wedde, Sellingen und Vriescheloo eine selbstständige jüdische Gemeinde. 1895 gründete Vlagtwedde eine eigene Gemeinde. In Bourtange wohnten dann noch 7 Familien. 1923 kam Vlagtwedde wieder zu Bourtange zurück.
Im November 1942 wurden alle 46 jüdischen Einwohner abtransportiert und teilweise ermordet in Sobibor und Auschwitz. 1 registrierter Bürger wurde über Winschoten deportiert. Nur 5 Einwohner kamen nach dem Krieg zurück, 2, nachdem sie untergetaucht waren, 2 aus dem Lager Westerbork und einer aus Auschwitz-Birkenau.
Nach 1945
1949 Vermietung des Badehauses / Mikwe (?) und 1951 Verkauf des Pfandes/ Gebäudes durch die Niederländisch israelische Kirchengenossenschaft als Rechtsnachfolger an die Gemeinde Vlagtwedde. Erlös 400,– Gulden, mit der gleichzeitigen Verpflichtung der Gemeinde, die Bepflanzung und Bäume auf beiden Friedhöfen zu unterhalten.
Das Gebäude wurde 1952 durch die Gemeinde verkauft an einen Unternehmer unter bestimmten Bedingungen: freikommende, auftauchende Materialien (Steine ect.,) die die Herkunft beweisen, müssen bewahrt werden.
1969 folgte der Verkauf an die Stiftung der Festung Bourtange mit gleichzeitiger Wiederherstellung des Zustandes von 1842. Im Jahre 1974 wurde das Gebäude eingerichtet zu Ausstellungs- und Besichtigungszwecken.
1989 Eröffnung der Synagoge durch Herrn O Aviran (Kulturattaché von Israel). Im Jahr 2000 erfolgten die Öffnung der Mikwe und des Ausstellungsraums durch Professor Wout van Bekkum, dem Sohn einer Überlebenden.
1990 Gründung der Vereinigung der Freunde der Synagoge Bourtange.
Synagoge
Ab 1780 existierte eine Haussynagoge bei der Familie JACOBSEN. Um „Minjan“ zu begehen, mussten 10 jüdische Männer zusammenkommen. Man sah sich gezwungen, auch jüdische, männliche Passanten dazu einzuladen, evtl. auch aus den Nachbardörfern. Von 1820 bis 1828 wurde ein Gebäude vom Staat angemietet. 1837 erwarb man ein Gebäude zum Preis von 125,- Gulden; der Betrag war in zwei Raten zu zahlen. Das Gebäude befand sich in einem schlechten Zustand. Man bat vergebens um finanzielle Hilfe vom König. Danach erbat man die Zustimmung zu einer Kollekte in der Provinz. Diese erbrachte 215,89 Gulden. Die Einsammler berechneten allerdings 96,80 Gulden als Reisekosten. Auch die zweite Rate des Kaufes konnte aus der Sammlung geleistet werden. Es blieben 65,95 Gulden übrig. Die darauf folgenden Kollekten musste mit einem Polizisten (oder Beamten) durchgeführt und der Erlös zum Bürgermeister gebracht werden. Man bekam einen Verweis bzw. eine Rüge durch die Hauptverwaltung aus Groningen, da man keine Genehmigung erbeten hatte. Die Kollektanten de Beer und Aronszoon zeigten Bedauern. Über die Hauptverwaltung und den Einsatz des Bürgermeisters schenkte der König dann 100,– Gulden.
1842 erfolgte die Restaurierung des Gebäudes mit alten Materialien und es gab erneut Probleme mit dem damaligen Schatzmeister.
In 1875 war erneut eine Restaurierung erforderlich. In den Giebel des Gebäudes wurde ein Stein eingesetzt. Text: „Beveet Elohiem Nehalleeg Baragesj“. Übertragung: „Wir gehen mit Begeisterung zum Hause des Herrn“ (Ps 55-15).
1937 war das Gebäude erneut baufällig und wurde restauriert. Von diesem Ereignis gab es noch Zeugen.
1942 wurde die Synagoge geplündert durch Personen, die dazu nicht das Recht hatten. Einige Teile aus dieser Zeit und auch Leuchter sind allerdings noch erhalten.
Friedhöfe
Der erste jüdische Friedhof entstand 1816 in der Nähe der Kalkbrennereien, heute mit dem Straßennamen „Oude Jodenkerkhofweg“ (Alter jüdischer Friedhofsweg). Schließlich verbot die Obrigkeit die Nutzung des Friedhofes wegen schlechter Beschaffenheit des Geländes. Im Jahr 1892 erwarb man Gelände in „Weite/Hebrecht“ zur Anlage des zweiten Friedhofes. Auch die jüdische Gemeinde Vlagtwedde durfte diesen Platz nutzen. Der damalige Bürgermeister war der Vermittler zwischen den Parteien.
Erinnerungskultur
Die Synagoge gilt als Museum. Im anschließenden Raum befindet sich die Mikwe und danach folgt der Ausstellungsraum mit permanenten Darstellungen. In diesen Räumen besteht die Möglichkeit zur Information über jüdisches Leben und jüdische Festtage. Auch die dazu gebräuchlichen Gegenstände sind dort ausgestellt.
Einige der Festtage werden in Bourtange noch gefeiert und Besucher sind eingeladen, daran teilzunehmen. Gefeiert werden unter anderem PESACH und CHANOEKA. Durchgehend gibt es durch die Gemeinde Westerwolde im Zusammenhang mit dem vorher geschilderten Sachverhalt wechselnde Ausstellungen. Es werden nach Planung und Absprache auch Ausstellungsstücke ausgeliehen, z.B. an die jüdische Schule in Leer und Esens.
Regelmäßig melden sich weit entfernte Nachfahren/ Familien mit Fragen zur Familienforschung, denen öfter und mit Erfolg geholfen werden kann. Das sind oft besondere Begegnungen mit Menschen aus unterschiedlichen Erdteilen. Gruppen können sich anmelden für einen Rundgang mit Erklärungen. An jedem 4. Mai wird an der Gedenkplatte an der Mauer der Synagoge eine Gedenkfeier begangen, zu der der Bürgermeister eine Ansprache hält. Auch das jüdische Monument in Ter Apel wird von Bourtange aus betreut und auch dort werden regelmäßig Erinnerungstreffen organisiert. Einige Male im Jahr wird dort eine passende/entsprechende Lesung durchgeführt.
Es gibt eine Webseite der Synagogenfreunde auf Deutsch und auch auf Niederländisch. Der Schatzmeister betreut die Facebook-Seite. Durch den Verein erfolgt auch die Mitwirkung an Publikationen/Büchern. All dies geschieht, um das Verschwinden des jüdischen Lebens zu verhindern und, soweit als möglich, am Leben zu erhalten.
Im Jahr 2022 kamen rund 10.000 Besucher in die Synagoge.
Text/Bilder: Willem Fokkens